In manchen Regionen möchten Anwohner und Touristen das Motorengedröhne der Zweiräder nicht mehr ertragen; die Toleranz erlischt und die Kritik richtet sich oft pauschal gegen alle Biker – ob laut oder leise.
Die einen wollen ihre Ruhe, die anderen den Sound von Motor und Abgasanlage genießen. Beschwerden häufen sich und werden bei Behörden und Politik vorgetragen. Den von Lärm Geplagten bleibt häufig nur der Wunsch auf schlechtes Wetter oder gesperrte Strecken.
Der Sound gehöre für die Fahrer zur Maschine, wie das Design und das Image, sagt der Verkehrspsychologe und Motorradfahrer Hartmut Kerwien. Erfüllender, Kräfte vermittelnder Sound, der den Fahrgenuss hebt und Gefühle wie Macht und Kraft vermittelt, ist für andere unnötiger und einfach nur lästiger und unerträglicher Lärm, der stört und ärgert. Lebensqualität und Erholungsmöglichkeit leiden; Stress kommt auf, Unmut über die eigene Hilflosigkeit und das Ausgeliefertsein. Dabei sinkt scheinbar die Schwelle zur Reizbarkeit der Betroffenen ständig.
Achim Kuschefski, der Leiter des Essener Instituts für Zweiradsicherheit, meint, dass der Motorradlärm eher ein gesellschaftliches, denn ein technisches Problem sei: „Die Anwohner wollen ihre Ruhe, und die Biker eben fahren.“ Wie kann es gelingen, diesen gordischen Knoten zur Zufriedenheit der Verkehrs- und Sozialgemeinschaft zu lösen?
So können 90 dB bei einer Musikveranstaltung und 110 dB bei einem startenden Düsenflieger trotz der objektiv gravierenden Lautstärke weder Missmut oder Reizbarkeit auslösen und aus persönlichen Motiven heraus zu Akzeptanz führen. Neben dem objektiv wahrnehmbaren Schalldruckpegel ist es die persönliche Einstellung zur Geräuschquelle, die Intensität und Dauer die Geräusche unangenehm und lästig werden lassen. So sollen bei derselben Lautstärke hohe Töne unangenehmer wahrgenommen werden als tiefe Töne.
Lärm ist widrig, unangenehm und kann nachweislich krank machen.
Mit dem Ziel, den Verkehrslärm zu verringern, wurden die Grenzwerte regelmäßig nach unten verschoben. Allerdings sind die Grenzwerte von Motorrädern etwas höher als bei Autos.
Für Pkw gilt seit 1996 ein Lärmgrenzwert von 74 dB, der bis zum Jahr 2024 auf 68 dB gesenkt werden soll. Motorräder, deren Typ nach dem 1.1.2016 homologiert wurde, müssen beim Fahrgeräusch den Grenzwert von 77 dB(A) einhalten. Dieser Grenzwert gilt seit 2020 auch für Zubehörauspuffanlagen.
Übrigens gelten seit dem 1.1.2020 auch für alle neuen Motorrad-Typenzulassungen die Abgaswerte der Norm Euro 5. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass die neuen Werte noch strenger werden. Vorgesehen ist die neue Lautstärkenmessung an Motorrädern ebenfalls für 2024.
Für die höheren Maximalwerte der Motorräder gibt es laut dem TÜV Nord mehrere Gründe. Einerseits liegt der Motor größtenteils frei und kann schlecht gedämmt werden, andererseits sind die Platzverhältnisse für eine wirkungsvolle Schalldämpferanlage oft eingeschränkt. Außerdem entfalten viele Motorräder im Gegensatz zum Pkw erst bei hoher Drehzahl die volle Leistung. Mit der Höhe der Drehzahl steigt auch die Geräuschentwicklung. Die Grenzwerte für Fahrgeräusche werden für Fahrzeuge im Fahrbetrieb vorgegeben. Diese werden beim Beschleunigen aus 50 km/h im zweiten oder dritten Gang über eine Strecke von 20 Metern gemessen. Je nach Fahrweise können zulässigerweise Motorräder – oder Autos – deshalb erheblich lauter sein.
Krach ist allgegenwärtig. Anders als die Abgase wird Verkehrslärm oft keine Gefährlichkeit beigemessen. Schon weit unter einem Schalldruckpegel von 85 dB kann Lärm krank machen, selbst dann, wenn er gar nicht als störend wahrgenommen wird. Er mindert jedoch bei Kindern die Konzentrationsfähigkeit und steigert bei Erwachsenen das Herzinfarktrisiko. Lärm löst Stressreaktionen aus, Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol werden verstärkt gebildet. Dies führt zu steigendem Blutdruck, die Herzfrequenz wird beschleunigt und die Blutgerinnung aktiviert. Nach Schätzungen sind allein etwa 4000 Herzinfarkte jährlich in Deutschland auf Straßenverkehrslärm zurückzuführen.
Eine Umfrage des Umweltbundesamtes (UBA) ergab 2012, dass sich gut die Hälfte der Bevölkerung im Wohnumfeld vom Lärm des Straßenverkehrs gestört oder belästigt fühlt.
Auch wenn bisher umstritten ist, inwieweit Geschwindigkeit und Lärm voneinander abhängen, sollten Motorradfahrer und -fahrerinnen nur selten hohe Drehzahlbereiche wählen.
Vorausschauendes, weitblickendes Fahren kann unnötiges Beschleunigen und Abbremsen ersetzen, da diese Verkehrsvorgänge als besonders störend wahrgenommen werden. Die Straße ist keine Rennstrecke. Kontrollierte Beschleunigungskräfte und das Einhalten der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten erhöhen die Sicherheit beim Fahren. Schließlich soll die Freude am Fahren erhalten bleiben und der Konflikt zu lärmgeplagten Menschen verringert werden.
Streckensperrungen der Straßenverkehrsbehörden für Motorräder, Nachfahrverbote, Fahrverbote in Ortsdurchfahrten von Kur- und Erholungsorten oder Geschwindigkeitsbeschränkungen für Motorräder auf Außerortsstrecken fördern den Fahrspaß nicht und treffen auch die Biker, die sich an die Regeln halten.
Verkehrsminister Hermann: „Deutlicher Weckruf wirksame Maßnahmen zu ergreifen“ – Entschließungsantrag für Bundesrat soll folgen
Über 90 Städte, Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg fordern gemeinsam mit Verkehrsminister Winfried Hermann MdL und dem Lärmschutzbeauftragten der Landesregierung Thomas Marwein MdL von der Europäischen Union, der Bundesregierung, den Herstellern von Motorrädern sowie von den Motorradfahrenden mehr Anstrengungen, um Motorradlärm spürbar zu reduzieren.
Die „Initiative Motorradlärm“ und den Forderungskatalog haben Verkehrsminister Hermann, der Lärmschutzbeauftragte Marwein und Sonja Schuchter, Bürgermeisterin von Sasbachwalden und Sprecherin der kommunalen Mitglieder der Initiative, am Donnerstag, den 13. Februar 2020, im Rahmen der Landespressekonferenz in Stuttgart vorgestellt.
Die Initiative hat nachfolgende Forderungen formuliert, die sie nun an Entscheidungsträger auf Bundes- und europäischer Ebene herantragen wird:
Weitere Informationen über die „Initiative Motorradlärm“ des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg finden sie unter
Initiative Motoradlärm – Verkehrsministerium-BW
Im Auftrag des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg wurde die Idee eines Motorradlärmdisplays zur Praxisreife entwickelt und erprobt. Ziel ist es, die Motorradfahrer und -fahrerinnen auf einen zu lauten Fahrstil aufmerksam zu machen und zu leiserem Fahrverhalten aufzurufen.
Das System erkennt automatisch Motorräder mit überhöhter Lautstärke und zeigt in diesem Fall die Aufforderung „Leiser!“ an. In der Tendenz gilt: Je stärker vorher die zulässigen Geschwindigkeiten überschritten wurden, desto mehr führten die Displays dazu, dass die Tempolimits beachtet wurden.
Die vom Land beschafften Prototypen haben sich bewährt es konnten wahrnehmbare Lärmminderungen im Mittel von 1,1 bis 2,2 Dezibel erreicht werden. „Das ist eine von den Anwohnern deutlich wahrnehmbare Minderung der Lärmbelastung“, freute sich Thomas Marwein, Lärmschutzbeauftragter der Landesregierung, bei der Präsentation der Ergebnisse anlässlich des „Internationalen Tages gegen Lärm“ am 26.04.2017. Er berichtete, dass die Anteile der Motorräder mit besonders hohen Schallpegeln an allen Vorbeifahrten um 40 Prozent (zwischen 27 und 48 Prozent) verringert wurden. „Wir sind von unserem System und seiner Wirkung überzeugt. Deshalb haben wir für Gemeinden, die ein solches Gerät anschaffen wollen, einen Bericht über die Senkung des Motorradlärms durch den Einsatz von Motorradlärmdisplays erstellt. Als Land haben wir die Idee geliefert und ein serienreifes System entwickeln lassen. Die Anschaffung und der Betrieb liegen aber in der Zuständigkeit der Kreise, Städte und Gemeinden“, erläuterte Marwein.
Die Motorradlärm-Displayanzeige besteht aus einem mit Solarstrom betriebenen Dialog-Display für die Textanzeige und einem davor aufgestellten Leitpfostenzählgerät zur Lärmmessung.
Standardmäßig misst das Dialog-Display mit dem Frontradar die Geschwindigkeit aller zufahrenden Fahrzeuge. Bei einer Überschreitung des Tempolimits erfolgt die Rückmeldung „Langsam!“ und bei Einhaltung des Tempolimits die Rückmeldung „Danke“. Wird jedoch vom Leitpfostenzählgerät ein Motorrad erkannt, das mit überhöhter Lautstärke auf das Dialog-Display zufährt, erscheint die Aufforderung „Leiser!“. Die Gerätekombination ist für den Einsatz zur Lärmprävention auf Motorradstrecken konzipiert und so eingestellt, dass nur bei der Vorbeifahrt von Motorrädern für den Bruchteil einer Sekunde eine Schallmessung durchgeführt wird. Andere Einstellungen und der getrennte Einsatz von Dialog-Display und Leitpfostenzählgerät sind möglich. Mit der Gerätekombination ist die Erfassung und die Anzeige von zu schnellen als auch von zu lauten Fahrzeugen aller Fahrzeugklassen möglich.
Die Wirkung der Motorradlärm-Displayanzeigen beruht auf